Rechtsfrage bei Auffahrschaden???

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delta8877
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Rechtsfrage bei Auffahrschaden???

Beitrag von delta8877 »

Hallo,

ich habe mich gerade sehr angeregt, mit meinen Eltern über einen Satz unterhalten, der von ihnen kam: "Der der auffährt ist Schuld!"

Der Meinung bin ich nicht! Ich hab auch einige Argumente, aber wie das nun mal so ist... Eltern geben eben nicht gerne zu, dass sie vielleicht Unrecht haben!

Deswegen jetzt meine Frage an euch: Was denkt ihr, wer ist schuld?

Beispiel:
"Ich fahre auf der Autobahn, linke Spur! Die linke Spur ist frei, deswegen fahre ich etwas schneller, sagen wir mal so 140 km/h, das ist jetzt ja nicht so waaaaahnsinnig schnell! Also ich fahre auf der linken Spur 140 km/h und auf der rechten spur fährt ein fahrzeug etwas langsamer. Ich sehe das Fzg schon lange im Voraus! Ich komme als dem Fzg näher und auf einmal zieht er in die linke spur... aus welchem Grund auch immer! Ich fahre ihm voll hinten drauf! So und nun die Frage:" wer ist schuld?"

Ich habe das fzg doch beobachtet, aber wer kann damit rechnen, dass er einfach rüberzieht! meine eltern sind der meinung, dass ich in diesem Fall schuld wäre, weil man mit soetwas immer rechnen muss!
-> Super, soll ich jetzt immer eine vollbremsung machen wenn ich rechts neben mir auf der autobahn ein auto fahren sehe? Nur um sicher zu gehen, dass er nicht rüberzieht und ich ihm nicht hinten drauf krache?

Was sagt ihr zu dem Thema? oder kann mir vielleicht sogar einer mit aufzeigen von gerichtsurteilungen oder ähnlichem bestätigen oder belegen, wie bei auffahrunfällen die rechtslage ist, denn meine eltern behaupten "wenn soetwas passiert, musst du erst mal beweisen können, dass er einfach eingeschert ist!"

Für rückmeldungen bedanke ich mich schon im Voraus!

Liebe Grüße
Delta8877
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Erik.Ode
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Wer auffährt hat nicht immer Schuld

Beitrag von Erik.Ode »

Also grundsätzlich haben deine Eltern Recht. Aber nur grundsätzlich........ :wink:

Es gibt keine Regel, die besagt: " Wer auffährt hat Schuld !"

Es ist immer der Einzelfall zu beurteilen. In deinem geschilderten Fall liegt eindeutig ein Fehler beim Fahrstreifenwechsel vor.
Die Richtgeschwindigkeit von 130 Km/h wurde nicht wesentlich überschritten, ein Bremsen und vermeiden eines Zusammenstoßes war durch den plötzlichen und nicht angezeigten Fahrstreifenwechsel nicht mehr möglich.
Somit liegt die Schuld dann eindeutig beim vorrausfahrenden Fahrzeugführer.

Soooo, jetzt kommen noch drei wesentliche Punkte dazu:

1. Ob die Verkehrsteilnehmer dann die geschilderte Situation glaubhaft beweisen können oder ob es technische Möglichkeiten der Beweisführung gibt haben zunächst mit der theoretischen Klärung der Schuldfrage nichts zu tun.
2. Für die tatsächliche Klärung sind die o.g. Punkte aber wesentlich.
Daher kommt auch der schlaue Satz: " Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Paar Schuhe !"
3. Sollte eine Schuldfrage nicht eindeutig geklärt werden, bleiben die Unfallbeteiligten i.d.R. auf ihren eigenen Schäden sitzen. Oder es wird eine anteilige Regelung (Haftungsverteilung z.B. 30 % zu 70 % ) getroffen. Da spielt dann auch die Geschwindigkeit eine Rolle. Deshalb ist die "Richtgeschwindigkeit" von 130 Km/h auch nicht außer Acht zu lassen !!!

http://www.beeplog.de/49286_159739.htm

http://www.abc-recht.de/ratgeber/auto/u ... igkeit.php

http://www.ra-kassing.de/verkehr/schadr ... echsel.htm

Siehe auch: unfall---was-kann-passieren-t7445.html#22313
Gruß Erik.Ode
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Moep89
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Beitrag von Moep89 »

Heißt das also, die eigtl. völlig unverbindliche "Richtgeschwindigkeit" wird hierbei zu einem rechtswirksamen Faktor?

Das wäre ja wirklich ne Sauerei. Denn Wenn keine Begrenzung vorliegt und die Bahn frei ist, dann fahr ich auch schonmal 180-200 (wenn meine Mutter nicht daneben sitzt, denn die ist da sehr ähm, abngeneigt^^)

Wenn mir dann also einer voll vor die Nase ziehen würde und langsamer ist und ich ihm deshalb hinten drauf fahre, dann bekomm ich im Zweifelsfall eher die Schuld, obwohl ich gesetzestechnisch keinerlei Fehler gemacht hab?
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Erik.Ode
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Richtgeschwindigkeit

Beitrag von Erik.Ode »

Zur Richtgeschwindigkeit

Die meisten Autofahrer wissen, dass es auf der Autobahn eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gibt. Sehr viele wissen aber nicht, was dies nun eigentlich bedeutet:
Der Gesetzgeber hat diese Richtgeschwindigkeit in einer Verordnung niedergelegt, um das Fahrverhalten auf den Autobahnen zu verbessern. Dabei handelt es sich aber nicht um eine strikte Anordnung, sondern lediglich eine Empfehlung. Die Frage ist nun oft, was es denn nun konkret bedeutet, wenn man auf einer freien Autobahn diese Richtgeschwindigkeit überschreitet. Viele meinen, dass in einem solchen Fall automatisch ein Mitverschulden angenommen würde, wenn es zum Unfall kommt.

Davon kann keine Rede sein. Wer Fahrfehler macht, haftet für die Folgen - gleichgültig, wie schnell er gefahren ist. Wer aber keinen Fahrfehler begeht, sondern sich trotz der erhöhten Geschwindigkeit korrekt verhält, hat keine Sanktionen zu befürchten, weil es sich eben lediglich um eine Empfehlung handelt. Dennoch hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Kraftfahrer, der diese Richtgeschwindigkeit überschreitet, im Falle eines Unfalls sich nicht darauf berufen kann, korrekt gefahren zu sein. Er meinte sogar, dass der Nachweis, der Unfall sei trotz überhöhter Geschwindigkeit unvermeidbar gewesen, in diesem Fall versagt sein soll. Dies dann, wenn er nicht nachweisen kann, dass vergleichbare Unfallfolgen auch bei 130 km/h eingetreten wären. Dies entspricht dem Bild des "Idealfahrers", von dem der Bundesgerichtshof ausgeht, dass er sich eben grundsätzlich vorsichtig verhält und deswegen diese empfohlene Richtgeschwindigkeit nicht überschreitet.

Das OLG Hamm hat nun in einer neuen Entscheidung festgestellt, dass nicht in jedem Fall die Überschreitung dieser Richtgeschwindigkeit bei Unfall dazu führt, dass man sich seine eigenen Ansprüche kürzen lassen muss. Er beruft sich auf § 17 StVG, der die Haftungsverteilung regelt und stellt fest, dass erst die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge bei einem Unfall das endgültige Ergebnis bringt.

Wenn nun ein anderer Kraftfahrer einen bedeutenden Fahrfehler begeht und es dadurch zum Unfall kommt, so entfällt jegliche Mithaftung des anderen Fahrers, auch wenn er zu schnell gefahren ist. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass der Unfall sich auch ereignet hätte, wenn die Richtgeschwindigkeit eingehalten worden wäre.

Die Sache ist nicht einfach; man sollte in diesen Fällen unbedingt einen erfahrenen Anwalt einschalten, der die Akte prüft und dann diese komplizierte Frage kompetent beantworten kann.

OLG Hamm, Versicherungsrecht 2002, 1120

http://www.abc-recht.de/ratgeber/auto/u ... igkeit.php

Dieser Beitrag beantwortet IMHO alle deine Fragen, oder ?
Gruß Erik.Ode
- alle Angaben, wie immer, ohne Gewähr ! ;-) -
Moep89
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Beitrag von Moep89 »

Danke, ja. Aber er erstaunt mich auch. Letztendlich ist die Lage dann ja mehr als verzwickt, wenn ein Unfall wie im ersten Post beschrieben auftritt.

Aber gut zu wissen, dass es dann so schwierig ist, denn dann kann man im Fall der Fälle gleich entsprechende Maßnahmen (Anwalt und genaue Prüfung) einleiten.

Danke für die Aufklärung.
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